12 Unikate des Leuven Chansonnier (15. Jhd.)

Das Leuven Chansonnier
2015 tauchte aus Privatbesitz eine Handschrift mit 50 mehrstimmigen Sätzen der franko-flämischen Vokalpolyphonie auf. Während 38 davon im Vergleich mit anderen Quellen Meistern wie z.B. Gilles Binchois, Johannes Ockeghem, und Antoine Busnoys zugeordnet werden konnten, waren die hier vorgestellten 12 Stücke zuvor unbekannt gewesen. Im Rahmen des CMME (Computerized mensural music editing) Projektes wurde durch die Goldberg-Stiftung und deren Stifter (Clemens Goldberg) eine Edition des gesamten Leuven Chansonniers vorgelegt. Dr. Goldbergs Anregung folgend hat Klassik-resampled, aufbauend auf der von der Goldbergstiftung präsentierten CMME- Ediition in dem hier präsentierten Interpretationsexperiment nun versucht, (meines Wissens nach erstmals) Aufnahmen von diesen 12 bislang unbekanten Tonsätze der Handschrift mit digitalen Mitteln zu realisieren und online zu veröffentlichen.
Hinweise auf Besetzungsvarianten aus der zeitgenössischen Malerei
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Weltliche Vokalmusik
Die Sätze des Leuven Chansonniers sind in vieler Hinsicht klar erkennbar einer weltlichen Kunstmusik zuzuordnen, auch wenn dies nicht auschließt, dass auch auf verschiedenen Ebenen Elemente geistlicher Musikpraxis von Einfluss sind. Anders als in der liturgischen Musikpraxis sind für das weltliche Musizieren der Renaissance auch Frauenstimmen nicht unüblich. Dass überwiegend nur die Diskantstimme textiert wurde, muss allerdings nicht zwangsläufig ausschließen, dass die anderen Stimmen nicht auch gesungen werden konnten. Darauf deutet auch hin, dass verschiedene Sätze dies Leuven Chansonniers auch Textierungen einer weiteren oder aller vorhandenen Stimmen aufweisen.
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Gesang und Instrumente
Dass überwiegend nur die Diskantstimme textiert wurde, kann als Hinweis darauf verstanden werden, dass begleitende Stimmen nicht gesungen, sondern von anderen z.B. Blas- und Saiteninstrumenten übernommen wurden.
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Instrumentalensemble
Es muss andererseits nicht notwendig davon ausgegangen werden, dass Instrumente ausschließlich in begleitende Funktion genutzt wurden. Es sind auch reine Instrumentalensembles denkbar. Bei in verschiedenen Lagen vorhandenen Instrumentenguppen wie z.B. Flöten sind auch homogene Instrumentalensembles denkbar.
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Portativ - Organetto
Außerhalb der kirchlichen Musikpraxis kommt als ein der Orgel ähnliches Instrment das Portativ (Organetto) vor. Es ist mehr oder weniger transportabel und daher auch im Tonumfang und Registerzahl sehr eingeschränkt. Gleichwohl bringt es mit seiner Orgellähnlichkeit immer auch Supren der geistlichen Musikpraxis mit sich.
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Zink - Cornet
Seit der frühen Renaissance immer verbreiteter ist der Zink (Cornet) ein trompetenähnlich ggespieltes Blasinstrument.
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Der vortragende Sänger
Die Hervorhebung des Diskantes als einzige gesungene Stimme könnte auch dem expressiven Gestus des Vortragenden eine größere Bedeutung gegenüber dem musizierenden Ensemble verleihen.
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Musizierende Kinder
Es ist nicht ausgeschlossen, dass auch Kinder an der weltlichen Musikpraxis beteiligt waren.
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Saiteninstrumente
Neben Lauten und Harfen gehören auch das Psalterium zu den auf Gemälden der Renaissance auftauchenden Saiteninstrumenten, Während die Gambe sich erst später vollkommen duchsetzen wird, gibt es doch neben der Fidule auch Streichinstrumente in verschiedenen Lagen .




Das digitale Interpretationsexperiment zur Instrumentierung
Die Textur des Chansonniers selbst gibt keine konkreten Angaben zu einer geeigneten oder vorgesehenen Instrumentierung. Die musikhistorische Einordnung der enthaltenen bekannten Tonsätze und ihrer Komnponisten, der Umfang der Textierung als auch Zeugnisse der zeitgenössischen Malerei (s.o.), lassen allerdings verschiedene Konstellationen der Aufführung denkbar escheinen. Dass sich unter den 50 Stücken des Chansonniers auch einzelne Stücke mit geistlichem Inhalt finden (1v-2r "Ave regina Coelum" von Frye oder ein anonymes Pilgerlied "Pelerin alant a saint James"), deutet darauf hin, dass die Grenzen von weltlicher und geistlichen Musikpraxis zumindest durchlässig gewesen sein könnten. Wo es denkbar erscheint, reflektiert dieses Projekt die Nähe einzelner Tonsätze zur geistlichen Chormusik, auch mit entsprechenden hier ausdrücklich nur "experimentell" gedachten chorischen Besetzungsvarianten.. Trotz aller denkbaren Einschränkungen erlaubt die von Klassik-resampled genutzte Technologie mit teils detaillierten Samplelibraries historischen Originalinstrumenten, die Tonsätze in ganz unterschiedlichem Instrumentierungen vorzustellen. In dem hier präsentierten Interpretationsexperiment werden insofern alle bislang anonymern 12 Unikate in 4 bis 7 verschiedenen Besetzungsvarianten präsentiert, die jede für sich geeignet erscheint andere Facetten des Tonsatzes in seinem denkbaren musikhistorischen Umfeld zu erproben. Es würde mich freuen, wenn dies vielleicht den einen oder anderen interessierten Interpreten anregen und helfen würde, eigene Gestaltungsentscheidungen zu treffen und eigene Auffassungen zu entwickeln.
Texte und Textverständlichkeit
Die hier verwendeten technischen Möglichkeiten stehen zumal hinsichtlich der Artikulation und deutende Darstellung des gesungenen Textes hinter den Möglichkeiten eines guten Vortragenden zurück. Es können nur Grundzüge des Sprachklanges zum Teil berücksichtigt werden. Dies lässt es hier wenig sinnvoll erscheinen, eine vollständige "Aufführung" des geseungenen Textes mit allen vorhandenen Strophen zu präsentieren. Eine "Aufführrung" würde das, worauf im Rahmen dieses Experimentes verzichtet werden muss, sicher in anderem Umfage berücksichtigen wollen. Hier werden die im Notentext eingetragenen Texte lediglich zur Klanggestaltung des digitalen Gesanges herangezogen. Die gesamten verfügbaren Texte nach der Edition der Goldberg-Stiftung daher zusätzlich bei jedem Stück zum Nachlesen seperat zugefügt.